Wie aus b4p und Statista alternative “Fakten” entstehen


Vorab: Ich bin kein komplett ausgebildeter Statistiker oder Marktforscher. Zwar beschäftige ich mich leidenschaftlich mit Zahlen und versinke auch in meiner Freizeit in Statistikbüchern, aber je mehr man weiß, desto mehr weiß man, was man nicht weiß. Die Weisheit habe ich nicht mit Löffeln gefressen, und ich bin immer dankbar, wenn Schlauere Feedback geben. Ich glaube aber, dass jeder einigermaßen klar denkende Mensch ohne Statistik-Grundkurs verstehen kann, wann Daten nicht sinnvoll erhoben wurden oder falsche Ableitungen erstellt werden. 

Sind Anzeigen in Print kaufanregender als in Social Media?

Auf diese These bin ich durch die Postings von Andre Alpar und Karl Kratz aufmerksam geworden. Sie stammt von Best4Planning, hier die ganze Studie “Qualität ist wichtiger als Likes”. Anders als die sehr geschätzen Kollegen Andre und Karl halte ich best4planning nicht für eine Satireseite, die b4p-Ableitung aus den Daten aber für zumindest mutig. Wenn man jetzt mal von den Haarwuchsmitteln in den Kleinanzeigen einer Zeitung absieht, die typische “10 Kilo in 2 Tagen abnehmen” oder “Millionäre wollen nicht, dass sie dieses Video sehen”-Reklame auf Facebook & Co spricht nicht für Social. Zumindest subjektiv würde ich die These also bestätigen. Die Eintrittshürde für Werbung im Netz ist wunderbar niedrig, in Print kostet sie nun mal vorab viel Geld. Ob die Automotive-Werbung für sauberen Diesel in Print heute noch als glaubwürdig wahrgenommen wird lassen wir mal dahingestellt, aber jeder Idiot kann in Online-Medien für wenig Geld ein Produkt anbieten. Von daher würde ich die Daten aus b4p, dass Werbung in Print glaubwürdiger ist, nicht anfechten.

Anders sieht es mit der Interpretation aus. Ist glaubwürdig gleichzusetzen mit kaufanregender? Ich halte das zunächst für eine Misinterpretation der Daten. Doch das Problem liegt meiner Meinung nach an der Grafik, denn als Quelle wird das Glaubwürdigkeits-Merkmal genannt: Es gibt auch das Merkmal “kaufanregend”:

So ergibt das also Sinn. Ich weiß zwar nicht, wie sie jetzt auf 28,1% gekommen sind, da ich unter Print sowohl Tageszeitungen als auch Magazine etc verstehe, aber vielleicht haben sie einfach (34+22)/2 gerechnet und sind somit auf die Zahl gekommen (intern werden sie wohl Nachkommastellen haben). Wie auch immer, die Erklärung in der Grafik ist unglücklich. Denn so denkt man (also ich zumindest), dass aus vertrauenswürdig das Merkmal kaufanregend abgeleitet wird.

Gehen wir mal einen Schritt weiter. Die Daten sind über alle Altersstufen verteilt, wie sieht es aus, wenn wir mal nach Altersklassen teilen?

Wow. Der demographische Faktor hat anscheinend gut zugeschlagen. Wenn ich jetzt nicht alles falsch gemacht habe, dann stimmt die Aussage, dass Ältere Werbung in Print vertrauenswürdiger und kaufanregender finden, Jüngere eher in Social Media. Wie bei Karl auf FB bereits kommentiert sind 65% der Befragten mindestens 40 Jahre alt, 49% mindestens 50, da unter 14 nicht befragt wird. Wir haben also einen Überhang der Älteren, die auch eher Print nutzen. Nun sind die unter 14-Jährigen natürlich nicht so stark in Social vertreten und auch nicht in Print, aber die Altersentwicklung in DE tut ihr Übriges dazu, dass die Zahl so stimmen mag. Das wird uns Hardcore-Onlinern nicht gefallen, lieber Andre, lieber Karl, aber außerhalb unserer Bubble sind tatsächlich Menschen, die keine telepathische Verbindung ins Netz haben.

Wenn man noch mal genauer hinschaut: 28.1% der Befragten finden laut Grafik Werbung in Print glaubwürdig. 28.1%. Das ist weniger als ein Drittel. Letztendlich könnte man auch sagen, Joa, Werbung bei Print ist für die Mehrheit der Befragten nicht glaubwürdig, aber bei Social noch viel weniger!

Fazit: Zahlen ok, Interpretation schwierig, wenn man es nicht differenziert sieht. Die Aufregung um die Aussage ist zu verstehen, denn sie stimmt zwar, aber ein Durchschnitt über die Gesamtpopulation ist immer noch ein Durchschnitt, und der ist in der Regel suboptimal, da er nichts über die Verteilung sagt.

Ist best4planning seriös?

Nun kann man mit b4p auch viel Mist machen. Vor allem dann, wenn man nicht versteht, wie die Daten gesammelt werden. Aber das haben wir auch bei Google Trends. Oder bei Similar Web. A fool with a tool is a fool. Punkt. Natürlich können wir es uns einfach machen und sagen, dass sowieso jede Marktforschung gelogen ist, aber das wäre nicht fair, denn es gibt genug Marktforscher, die sich verdammt viel Mühe geben.

Wie aber entstehen die Daten von b4p? Tatsächlich wurden für diese Studie 30.121 Menschen befragt, das sind sehr viel mehr Menschen als die in der Einschaltquote Beteiligten, zu denen ich auch mal gehört hatte, und es ist eine gute Basis. Hierzu gab es zwei Befragungswellen, alles hier nachzulesen. Ich sehe keinen Grund, das anzuzweifeln, nur weil Verlage die Auftraggeber sind. Denn man kann in den Daten auch so rumwühlen, dass manches nicht so wirklich schick aussieht für Print.

Die technische Messung fand mit 10.231 Teilnehmern im GfK Crossmedia Link Panel statt, denen auch eine anscheinend etwas gekürzte Form des Fragebogens zugeschickt wurde. Dann wurden diese Daten aus dem Panel und den Interviews sozusagen “übereinander” gelegt. Das ist ein übliches Verfahren. Daraus ergeben sich aber auch Konsequenzen. Beispiel: Ich baue mir eine Zielgruppe in b4p aus Menschen über 50, die selbständig sind in einem Baubetrieb usw. Aus n=30.121 wird dann ganz schnell n=12, die befragt wurden. Das ist schon schwierig, aber nun gut. Wenn ich mir dann aber die Mediennutzung ansehe, dann kann es sein, dass diese ja aus dem Drittel der Befragten des GfK-Panels stammt, also müsste ich korrekterweise 12:3 rechnen und wäre bei 4. Schwierig. Leider sagt die b4p-Seite nichts über solche Fälle, gibt keinerlei Hilfestellungen. Aber ich würde meine Werbe-Millionen nicht auf Basis solcher Daten investieren, wenn n so klein ist. Bedeutet das, dass b4p unseriös ist? Nein. Das Problem sitzt vor dem Bildschirm, denn die kleine Zahl links oben, die für die Fallzahl steht, ist nun mal sehr klein und wird deswegen auch gerne mal übersehen. Was wäre auch die Alternative? Gar nichts?

Wo ich tatsächlich Bauchweh habe, das sind die Fragen, zumindest die, die veröffentlicht sind, und da habe ich nur eine gefunden: “Denken Sie nun einmal an die Tage von Montag bis Samstag. An wie vielen von diesen 6 Werktagen sehen Sie im Allgemeinen morgens zwischen 6:00 Uhr und 9:00 Uhr Sendungen im Fernsehen? Denken Sie bitte auch daran, dass der Samstag oft anders abläuft als die anderen Werktage”. Aufgrund der sozialen Erwünschtheit: Wer mit ausreichend Gehirnzellen gibt denn freiwillig zu, dass er sich morgens schon mit Frühstücksfernsehen zuballert? Ich hoffe aber, dass solche Fragen durch weitere Kontrollfragen abgesichert sind.

Fazit: b4p ist für viele Anliegen eine gute Anlaufstelle. Wichtig ist, die Daten mit anderen Datenquellen und dem gesunden Menschenverstand abzusichern.

Wie ist die Altersverteilung der Deutschen auf Pinterest?

Gibt es Alternativen zu b4p? Wenige. Manche schwören auf Statista, aber bei der unreflektierten Nutzung von Befragungen stirbt ebenso ein Statistik-Einhorn wie bei b4p (das ist der Grund, warum Ihr keine Einhörner mehr seht). Statista ist natürlich eine extrem coole Seite mit tollen Daten, aber auch hier lohnt sich ein Blick in die Details, von wem die Studie eigentlich stammt. Zum Beispiel diese Studie vom Februar 2018, die uns sagt, dass 14% der mindestens 60-Jährigen auf Pinterest sind. Auch 14% der 50-59-Jährigen. n bei beiden Gruppen um die 600. Wow. Klingt super für Pinterest. Dummerweise muss man für Statista zahlen, wenn man die Quelle haben will, aber das hat netterweise jemand für mich getan. Die ganze Studie stammt vom Faktenkontor. Erhebung durch Toluna. Toluna? Was ist das? Eine Webseite, auf der man etwas dafür bekommt, wenn man an Umfragen teilnimmt. Hm. Wir haben also nicht zufällig aus den mindestens 60-Jährigen Menschen ausgewählt, die wir befragen, sondern einfach nur die genommen, die eh schon online sind und dann auch noch dieses Portal kennen usw. Dumm nur, dass nur 55% der über 65-Jährigen überhaupt im Internet sind laut destatis. Wir haben also eine eh schon online-affine Gruppe befragt, deren Wahrscheinlichkeit bei Pinterest zu sein dementsprechend höher ist. Ich wäre zumindest sehr vorsichtig, bei Rentnern als Zielgruppe nun Pinterest zu empfehlen und diese Zahl von 14% irgendwo zu verwenden.

Fazit: Schau Dir genau an, wie die Daten erhoben wurden.

Nicht die Daten sind das Problem, sondern Du

Das Problem sind nicht die Daten, solange man versteht, woher sie kommen und wie sie erhoben wurden. Aber das will man gar nicht genau wissen manchmal, weil man eine Meinung hat und sich diese dadurch belegt, dass man nur die Daten auswählt, die die eigene Meinung bestätigen (und da bin ich nicht von ausgenommen). Man nennt das den Bestätigungsfehler. Darüber habe ich auch an anderer Stelle schon mal geschrieben. Oder man hat nicht die Zeit, Daten zu überprüfen. Oder manchmal auch nicht den Willen. Man sieht nur eine Zahl, hat eine eigene Meinung und schießt dann los. Ich wünsche mir manchmal mehr Differenzierung. So mal ganz nebenbei. Aber einfache Antworten sind immer besser zu kommunizieren.

Übrigens, ein schönes Buch, das ich gerade lese: Thomas Bausch – Stichprobenverfahren in der Marktforschung. Gibts gebraucht für weniger als 5€ bei Amazon.

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