Warum die Web Analyse (wie wir sie heute kennen) aussterben wird


Das Zeitalter der sinnvollen Webanalyse hat gerade erst begonnen. Mehr und mehr Unternehmen verstehen, dass PageViews kein geeigneter KPI sind, um den Erfolg der Content-Investments zu überprüfen. Und dennoch naht das Ende dessen, was wir gerade liebgewinnen, bevor es zu schön werden kann.

Dies ist kein weiterer Click-Bait-Artikel darüber, wie Maschinen uns die Jobs wegnehmen werden. Natürlich wird Machine Learning die einfachen Analysten-Jobs eliminieren. Wir sehen heute schon, dass Google Analytics in der kostenlosen Variante selbständig Anomalien entdeckt. Fragen an die Daten können per gesprochener Sprache gestellt werden. Und da die Herausforderung meistens darin besteht, dass die richtigen Fragen an die Daten gestellt werden, wird auch das über die selbständige Analyse abgedeckt werden. In der 360er Variante bietet Analytics den neuen Analyze-Modus. Analysen werden mehr und mehr automatisiert erstellt werden können. Und das ist gut so. Denn auch wenn wir viel Erfahrung einbringen und wissen, welche Segmente zu untersuchen sich lohnt, eine Maschine kann einfach alle Kombinationen durchrechnen und auf Segmente kommen, die wir als Menschen niemals gefunden hätten. Das Stochern im Heuhaufen hat damit ein Ende. Und es ist effizienter, wenn Maschinen diese Suche unternehmen. Es bleibt schon jetzt nicht mehr dabei, dass nur Informationen aus Daten generiert werden – schon jetzt werden Handlungen abgeleitet. Das, was für die meisten Nutzer am schwierigsten ist, aus den Daten zu lernen, was man eigentlich tun müsste, wird auch von der Maschine interpretiert und artikuliert werden können.

So einfach ist es nicht, werden die Kutscher der Web Analyse sagen: Man kann nur dann etwas Sinnvolles aus den Daten ziehen, wenn diese sinnvoll erhoben wurden. Und in den meisten Fällen ist das nicht der Fall, dass sinnvolle Daten erhoben werden. Solange in vielen Fällen eine Standard-Installation eines Web Tracking-Tools Anwendung findet, gibt es noch viel zu tun. Doch wenn wir uns den heutigen Google Tag Manager einmal genauer ansehen, dann wird klar, dass viele Nutzerinteraktionen heute auch schon automatisch getracked werden können. Klicks auf Links. Scroll-Tiefe. Element-Visibilität. Was heute noch eingerichtet werden muss, könnte morgen schon automatisch erfolgen. Und es wäre der logische nächste Schritt. Gehen wir also davon aus, dass irgendwann in naher Zukunft das Einrichten eines Tag Management wegfallen wird. Je nachdem wie viel man zahlt, werden Events mehr oder weniger granular gemessen. Und zwar nur die, von der die Maschine gelernt hat, dass sie für ein definiertes Ziel wichtig sind.

Die Komplexität der Daten-Akquise wird wegfallen, und die Analyse wird wegfallen. Was wird dann noch überbleiben? Eine digitale Strategie auszuarbeiten, die auf Basis von Daten gestaltet ist? Das sehe ich nicht im Markenkern der Webanalysten. Die manuelle Webanalyse ist eine Brückenqualifikation, der Tankwart der Analytics-Lösungen. Denn in spätestens 5 Jahren, 2023, werden die großen Kunden schon mit der Webanalyse-KI arbeiten und nicht mehr mit einem teuren, eitlen Webanalysten.

Was sollen wir tun, wir “Web-Analyse-Helden”? Entweder qualifizieren wir uns weiter, vom Tankwart zum Modulhersteller. Oder wir verkaufen die Süßigkeiten drumherum. Die McJobs der Webanalyse. Und die können auch in Indien abgefackelt werden. Uns bleibt nur die Möglichkeit, mit Hilfe von Data Science Lösungen zu entwickeln, die für Google Analytics und Co zu nischig sind, um sie als erstes zu belegen. Wir werden noch wenige Jahre mit Implementierungen und Schulungen Geld verdienen können, aber spätestens 2023 ist Schluss damit.

Kommentare (seit Februar 2020 ist die Kommentarfunktion von meinem Blog entfernt):

Maik says

  1. Mai 2018 at 13:22 Hallo Tom,

danke für deinen Beitrag, der eine für viele neue Sichtweise bietet. Aus unserem Gespräch im Rahmen unserer Podcastaufnahme weiß ich ja durchaus schon, dass du da einen sehr datengetriebenen Ansatz hast und auch die Zukunft der Webanalyse eher dem Machine Learning unterordnest.

Wie so viele Disziplinen, die aktuell im (Online-) Marketing existieren, so gehört auch die Webanalyse zu den – meine ich – immer noch aufsteigenden Trends. Denke mal an SEA, SEO, Affiliate Marketing, E-Mail-Marketing, … das alles boomt. Immer noch. Obwohl etwa SEO schon vor längerer Zeit ständig totgeredet wurde – und Google immer mehr Kompetenz zugeschrieben bekam, die Dinge schon „alleine“ zu können. Sicherlich, Google IST besser geworden. Doch die Menschen/Unternehmen mit ihren Websites sind es nicht. Und so ähnlich sehe ich das auch bei der Webanalyse.

So lange eine Disziplin noch nicht in der Breite (vor allem Mittelstand und kleine Unternehmen) angekommen ist, sind fünf Jahre ein, wie ich finde, zu kleiner Zeitraum, um Veränderungen in der Breite zu erzielen. In der Spitze (z. B. Konzerne) sehe ich das etwas anders, aber die Masse muss es mitbekommen – ansonsten ist die Veränderung eher eine der lokalen Maxima. Vielleicht bedeutet das aber auch, dass wir dann alle für Amazon arbeiten.

Ich gebe dir Recht, wenn du sagst, dass Maschinen Anomalien oder Cluster in den Daten wesentlich besser erkennen können als jeder Mensch es je könnte. Doch die Frage ist: Was machen am Ende wir, die Menschen, damit? Und da braucht es nun mal – vermutlich deutlich länger als 2023 – nach wie vor Menschen, die das in ein „Tun“ übersetzen, nachdem sie es zuvor mit Ihrer Strategie abgeglichen haben.

Haken an der Sache: Maschinelles Lernen braucht Daten – möglichst viele sogar. Und IMHO haben wir am 25. Mai in der Hinsicht einen ordentlichen Schritt nach hinten gemacht. Vielleicht haben wir – bzw. diejenigen, die die DSGVO beschlossen haben – Europa damit sogar ziemlich ins Abseits gestellt. Und die Regelungen der Verordnung und die Ängste der Menschen vor Missbrauch der Daten sorgen dafür, dass es vorläufig so bleibt. Das ist für viele Unternehmen schon eine ziemliche Bremse.

Zudem, auch wenn sich das natürlich in den nächsten Jahren durchaus ändern kann und sicher auch wird: KI oder ML ist derzeit noch kein „Massenphänomen“. Jeder spricht zwar darüber und erahnt vielleicht die Möglichkeiten, aber tatsächlich ist da draußen noch nicht überall „Hurra“ zu hören. Es fehlt an Systemen, die mehr Daten erheben, (aktuell) Menschen, die sich damit auskennen und letztlich auch oftmals an Wissen, was man damit alles anfangen kann.

Du sagtest völlig zurecht: Es braucht die richtigen Fragen. Ohne die ist KI noch deutlich länger als 2023 hilflos. Doch um die richtigen Fragen zu stellen, braucht es Menschen mit Verständnis für Zahlen, Business, Strategien und Umsetzungskenntnis. OK, vielleicht heißen die irgendwann nicht mehr Webanalyst (genauso wie es dann keine reinen SEOs mehr geben mag und die SEAler, deren Job allesamt die Google KI übernommen hat), doch die Webanalyse selbst wird Teil eines vielleicht neuen Berufsbildes sein, das AUCH das Verständnis der Webanalyse voraussetzt – und dafür braucht es immer noch Menschen, die den ganzen Tag nichts anderes machen. Schulungen werden dann vielleicht eher auf Strategien abzielen.

Ich sehe Webanalysten und Data Scientists da auf mehr oder weniger getrennten Schienen unterwegs. Der Webanalyst ist für mich häufig näher am Business und dem, was aus Zahlen folgt. Das reine Daten-Aufbereiten und Co. – da bin ich mir sicher – wird sicher irgendwann einfach wegfallen.

In dem Zuge vielleicht noch ein Hinweis auf einen super Artikel, den ich neulich verschlungen habe und uns ohnehin in 50 Jahren nur noch chillen lässt. Hier der Link: https://waitbutwhy.com/2015/01/artificial-intelligence-revolution-1.html

Naja, und über allem, was du und ich sagen steht ja noch eine Sache: Vielleicht haben wir in 5-10 Jahren auch kein Internet mehr, sondern etwas noch Cooleres.

Danke, dass du das Thema hier mal in deinen Blog bringst. Und Doppel-Dank für die Analogie mit dem Tankwart. Love it. Volltanken, bitte. Maik

Tom Alby says

  1. Mai 2018 at 23:33 Lieber Maik,

jeder Austausch mit Dir hilft mir, meine Gedanken zu sortieren und zu hinterfragen, und dafür bin ich Dir wie immer sehr dankbar.

Der Grund, warum ich das Ende des Web Analysten innerhalb weniger Jahre prophezeie, ist keine reine Effekthascherei. Ich glaube daran. Und das aus den folgenden Gründen:

  1. Wenn wir von einer linearen Entwicklung ausgingen, dann würde ich eine solche Prophezeiung nicht formulieren. Aber wir haben nun mal keine lineare Entwicklung. Wir haben eine nicht-lineare Entwicklung. Eine exponentielle Entwicklung. Und es ist eine Eigenschaft des Menschen, exponentielle Entwicklungen zu unterschätzen. Eine alte Legende zeigt das in der Person Sissa ibn Dahir (https://de.wikipedia.org/wiki/Sissa_ibn_Dahir). 1996 schimpfte mein Vater noch mit mir, dass ich mir sowas Verrücktes wie ein Handy zugelegt hatte, 10 Jahre später hatten wir Internet auf dem Handy, noch mal 10 Jahre später haben wir Voice Assistants zuhause, und ein Internet unter 10 MBit ist zumindest in den Städten undenkbar. Genau diese exponentielle Entwicklung beschreibt auch Dein Artikel, oder?
  2. Wir erschaffen nicht nur Technologie, sondern Technologie ändert auch uns. Technologie verändert unser Denken, und das führt immer wieder dazu, dass Technologie kritisiert wird. Die Schrift, so Ong, wurde von Plato kritisiert, weil sie das Denken externalisiert. Als die Taschenrechner aufkamen, wurde die gleiche Kritik laut, dass die Menschen das Rechnen verlernen. Und nun hören wir, dass die Künstliche Intelligenz uns das Denken abnimmt und das nicht gut sei. Tatsächlich aber hat uns jede Technologie weiter gebracht. Ob das immer gut war, das steht auf einem anderen Blatt. Aber selbst die Schrift als Technologie hat unser Denken verändert. Und so wird auch Machine Learning unser Denken verändern. Wir werden in wenigen Jahren in Machine Learning denken. Und wenn Du sagst, dass das momentan noch ganz weit weg sei, das glaube ich nicht aufgrund der exponentiellen Entwicklung.
  3. Du sagst, dass Web Analysten näher am Business Problem dran sind als Computer Scientists. Ich könnte nicht mehr widersprechen. Ich glaube Dir selbstverständlich, dass Du vor allem die Geschäftsziele im Fokus hast. Als Data Scientist ist für mich hingegen immer die erste Frage, welches Problem ich eigentlich löse. Das bringe ich auch meinen Studierenden bei (http://wordpress-95500-642800.cloudwaysapps.com/lehrveranstaltungen/data-science-analytics/understanding-the-business-problem/).
  4. SEO ist tot. Die meisten SEOs sind für mich die Heilpraktiker des Online Marketings. Wir glauben ihnen, weil es uns schwer fällt anzunehmen, dass wir nicht die Kontrolle haben. Aber ich habe, glaube ich, bereits genug Daten veröffentlicht, die belegen, dass wir es hier vor allem mit Snake Oil zu tun haben. Ich habe noch keinen SEO gesehen, der seine Zahlen so veröffentlicht wie ich.

Ja, vielleicht ist 2023 sportlich. Aber wenn Google irgendwas macht, dann etwas Skalierbares. Und auch wenn AdWords Express am Anfang nicht so toll funktioniert hat, mehr Daten werden dafür sorgen, dass es funktionieren wird.

Darf es zum Volltanken noch ein Snickers sein?

Tom

Maik says

  1. Mai 2018 at 10:12 Hey Tom,

die Legende von Sissa ibn Dahir ist ein tolles Beispiel. Andererseits sind genau bei exponentiellen Steigungen gerade zu Beginn die Steigungen noch nicht so hoch, dass sie solche Umwerfungen provozieren. Aber du hast Recht: Wenn skalierbar, dann Google.

Und tatsächlich, der Beitrag, den ich verlinkt habe, beschreibt unter anderem genau dieses Wachstum – in mitunter erschreckenden, weil unglaublich riesigen, Dimensionen. Und natürlich hat jeder Mühe, der versucht, das zu verstehen. Wie ist es wohl, wenn es noch in diesem Jahrhundert Maschinen geben wird, die 1 Million Mal intelligenter sind als wir Menschen. I cannot imagine …

Das Gute ist ja, dass wir beide uns hier nicht wirklich darüber unterhalten OB es (die Ablösung bestimmter Jobs) passieren wird, sondern eigentlich nur WANN. Insofern bin ich in vielen Punkten bei dir. Letztlich zählt auch nicht, ob Webanalysten- oder Data-Scientist-Jobs eher wegfallen als andere, sondern eher, was unsere künftige Aufgabe sein wird. Ob es in Zukunft noch Menschen braucht, die „analytisch“ denken und mit „Kreativität“ an Lösungsansätze herangehen.

Und ja, ich sehe auch, dass SEO an vielen Stellen „überdenkbar“ (würde ich das mal wohlwollend nennen) geworden ist. Zumindest in der Art und Weise, wie es von vielen SEOs betrieben wird. (Dein Begriff „Heilpraktiker“ trifft es ganz gut, finde ich).

Auch in dieser Spezialdisziplin gilt für mich immer mehr: Es braucht Leute, die sich mit einer sinnvollen Informationsarchitektur (technisch und inhaltlich) im Hinblick auf ihre Nutzer auseinandersetzen und Verbesserungen tätigen. Dafür braucht es (derzeit noch) Verständnis für Menschen, Werte – und solide Daten, um Verbesserungen zu messen. Vielleicht werden Websites in 5 Jahren aber auch komplett von Maschinen gebaut. Vielleicht gibt es in 10 Jahren aber auch keine Websites mehr, sondern nur noch VR. Who knows?

Eine Sache noch: Ich hoffe, dass die Entwicklungen in den nächsten Jahren/Jahrzehnten nur so schnell vorangehen, dass wir Menschen eine Chance haben, unsere Rolle in der „neuen Welt“ zu finden – und nicht komplett überrollt werden. Denn wenn Maschinen irgendwann alles können, was wir Menschen können, und das auch noch viel besser, dann werden wir hier auf der Welt zwar sicherlich eine Menge Probleme lösen können – jedoch auch viele neue haben, was unsere Aufgaben angeht. Und gerade die Komponente „exponentiell“ ist da irgendwie – so lustig das klingen mag – unberechenbar.

Snickers? Ja, gerne. Zum Mitnehmen, bitte. Maik

Christian Hansch says

  1. Juni 2018 at 16:09 Hallo Tom,

was meinst du am Ende deines Artikels genau mit der Qualifizierung zum Modulhersteller? Ich glaube auch, dass wir Web-Analysten in 5-10 Jahren abgelöst werden, aber eigentlich muss ich ja noch knapp 20-25 Jahre arbeiten. Hypothese: In Zukunft ist es noch wichtiger, die richtigen Fragen zu stellen mit ggf. den richtigen Nebenbedingungen, damit die Maschine die richtige Antwort „ausspucken“ kann.

Ich finde die GA – App mit dem aufzeigen der Anomalien auch super. Ich frage mich aber, wie die Maschine die diversen Ziele favorisieren soll und nicht immer wird nur der monetäre Output maximiert, manchmal auch die Kommunikation, die schwer messbar ist.

Beste Grüße Christian

P.S.: Schade, dass ich deinen Vortrag auf der Campixx nicht gesehen habe, dann könnte ich besser verstehen oder mit diskutieren, wieso SEO tot sein soll.

Christian Hansch says

  1. Juni 2018 at 10:54 .. Hier eine Antwort vom Google Team zu deiner Frage: https://www.youtube.com/watch?v=BBZh_O0MeeE&list=PLI5YfMzCfRtaaQpilSJf9jqrP7BVfjBWI&index=2&t=0s bei ca.. 13:30 …

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