Weder schwarz noch weiß – Oder was die Zauberflöte heute noch zu sagen vermag


Vorab: Ich war ein großer Verehrer der Achim Freyer-Inszenierung der Zauberflöte an der Hamburgischen Staatsoper, die bei ihrer Premiere 1982 neben Applaus auch Buhrufe bekam. Diese Inszenierung war aufgrund ihrer Verspieltheit nach über 30 Jahren gefühlt immer noch modern, und ich habe sie bestimmt ein Dutzend Mal gesehen. Die Interpretation, dass Tamino alles geträumt haben könnte und sich deswegen zum Schluß selbst beobachten kann, fand ich zwar stets eigenwillig, aber die Bilder Freyers waren einfach wunderschön.

Die Zauberflöte hat für die Hamburgische Staatsoper vielleicht eine besondere Bedeutung, schließlich war sie das erste Stück, das 1955 nach dem Wiederaufbau des Opernhauses gegeben wurde. Zudem existiert eine DVD mit einer von Peter Ustinov in den 60er Jahren in Hamburg inszenierten Aufführung, die wahrscheinlich die Brücke zwischen der Wiedereröffnung und der Freyer-Inszenierung bildete.

Und auch für mich hat die Zauberflöte eine besondere Bedeutung. Jedes Mal, wenn ich mich mit ihr beschäftige, entdecke ich etwas Neues darin. Und sobald ich die Möglichkeit habe, eine Inszenierung zu sehen, versuche ich alles dafür zu tun, diese Möglichkeit Realität werden zu lassen. Ich habe schon einige Inszenierungen gesehen, von einer ganz klassischen in der Semper-Oper über eine wunderbare Produktion der HfMT bis zu einer John Dew-Inszenierung in Bielefeld, wo er den Tempel Sarastros in ein Computerlabor verwandelte.

Buhrufe wie die Freyer-Produktion bekam 34 Jahre später auch die neue Inszenierung von Jette Steckel. Wahrscheinlich hätte jede neue Inszenierung zu Buhrufen geführt, denn schließlich hatte man die alte Inszenierung liebgewonnen, sie war ein steter Begleiter durch viele Jahre. Jette Steckel hatte es also nicht einfach. Und ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich in die neue Inszenierung zu wagen. Die Licht-Installationen sind faszinierend und stimmten mich zunächst mehr als versöhnlich, doch gleich zu Beginn fand ich das verkürzte Libretto verstörend. Kein Wunder, dass die Staatsoper in drei Stunden fertig sein wollte (am Ende war es sogar eine Viertelstunde weniger), und das trotz Pause. Am Text wurde einiges gekürzt, und wenn ich mich richtig erinnere, dann auch an der ersten Arie (“Zu Hilfe”).

Kein Schwarz oder Weiß, kein eindeutiges Gut oder Böse

Und so stehen die Musik und die visuelle Inszenierung im Vordergrund, denn vom Text blieb nicht viel übrig. Stattdessen wurde ein wenig neuer Text hinzugefügt, der zur Anbiederung an das junge Publikum passte. Natürlich darf eine Inszenierung attraktiv für neue Operngänger sein. Vielleicht verlässt man sich aber auch zu sehr darauf, dass der Inhalt vorher in der Schule ausgiebig besprochen wurde.

Denn das Faszinierende an der Zauberflöte, neben der Musik natürlich, der Wechsel von Gut zu Böse und umgekehrt, der kam so nicht heraus. Steht zunächst die Königin der Nacht als die arme, des Kindes beraubte Mutter da, so entpuppt sich später Sarastro als der gute Protagonist, wenngleich nicht ganz, denn auch bei ihm ist nicht alles gut (“Zur Liebe will ich dich nicht zwingen, doch geb ich dir die Freiheit nicht”). In der Einführung zur gestrigen Vorstellung brachte der Herr, der sich nicht vorstellte, auch noch das Beispiel der Gewalt, die er an Monostatos ausführen ließ. Und auch er verwies auf diese nicht eindeutige Polarisierung.

Im Film von Kenneth Branagh, der übrigens auch phänomenal ist, geht die Interpretation sogar so weit, dass Sarastro ein Verhältnis mit der Königin der Nacht hatte, sie aber verließ. Er will sie zum Schluß retten, schafft es aber nicht.

Das Leben ist nicht schwarz oder weiß, und manches ist anders, als man es zunächst vermutet. Doch egal wie ist es ist, man muss an sich selbst arbeiten, um ein besserer Mensch zu werden. So würde ich in zwei Sätzen die Kernbotschaft der Zauberflöte formulieren, und wir sehen dies in allen Charakteren der Zauberflöte. Schaut man sich die Vereinfachung mancher heutigen politischen Problemlösungsansätze an, so wird deutlich, wie relevant die Zauberflöte noch heute sein kann. Es ist nicht einfach, es ist komplex. Und da helfen keine einfachen Antworten. Gerade diese Relevanz zur heutigen Zeit hat Jette Steckel versäumt aufzuzeigen.

Dass die Botschaft, an sich zu arbeiten, aus dem Gedankengut der Freimaurer stammen, liegt nahe, denn sowohl Mozart als auch Schikaneder, der das Libretto lieferte, waren Freimaurer. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass man, wenn man aus dem Foyer der Staatsoper zur Straße schaut, in einem bestimmten Winkel den Eingang einer der über 40 Freimaurer-Logen in Hamburg sieht. Doch von all dem blieb nicht viel übrig in dieser Inszenierung.

Lebenswege und -Richtungen

Die rot leuchtenden Pfeile, die die Protagonisten mit sich herumschleppten, waren stattdessen das vorherrschende Motiv. Wege, die man nimmt, manche sind falsch, manche sind richtig. Und die Lebenswege von Pamina und Tamino, die sich erst am Ende wieder treffen und anscheinend zusammen bleiben, sind eine tolle Idee, wenn man das Leben als Reihe von Prüfungen und einem Labyrinth von falschen und richtigen Entscheidungen versteht. Und doch, wenn wir uns an das Grundmotiv erinnern, kann etwas komplett falsch oder richtig sein? Papageno, der die Prüfungen nicht bestand, einen “falschen” Weg beschritt, dafür aber seine Traumfrau kennen lernte, was ihm wahrscheinlich reichte. Die Pfeile sind somit eine wirklich gute Idee, die eine weitere Facette zur Interpretation hinzufügen. Dafür wurde ihr nur leider etwas anderes Wesentliches genommen.

Ein Zitat aus der “alten” Zauberflöten-Inszenierung meine ich übrigens entdeckt zu haben, nämlich die Hand, die Pamina leitet und umarmt (siehe Foto), nur dieses Mal ist sie aus Licht geformt. Sollte es tatsächlich ein Zitat sein, so ist es eine wunderschöne Idee.

Die neue Aufführung wird nicht meine neue Lieblingsaufführung werden. Und zwar allein wegen der Kürzung des Textes. Ein bisschen kürzen und anpassen, klar, der Schikaneder-Text ist nicht wirklich zeitgemäß.

Es ist schade, dass so radikal und meiner Meinung nach unnötig Inhalt entfernt wurde. Das Spiel mit dem Licht ist faszinierend, viele wirklich tolle Ideen stecken in dieser Inszenierung. Aber wie in der Zauberflöte selbst: Kein eindeutiges “gut” oder “schlecht”.

Übrigens werden anscheinend keine Solisten mehr aus dem Tölzer Knabenchor eingeflogen. Die Jungs gestern stammten aus einem Dortmunder Chor; leider war der Erste Knabe viel zu laut, so dass die anderen beiden Knaben untergingen. Ich habe mich aber schon immer gefragt, ob es in Hamburg keine Kinder gibt, die diesen Part übernehmen können. Auf der DVD der Ustinov-Inszenierung sangen noch Solisten eines Hamburger Chors. Was für die Kids und für die Umwelt sicherlich besser ist, wenn lokale Solisten auf die Bühne kommen.

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